Hannes Wader wird 68

Von hier aus herzlichen Glückwunsch!

Ich würde wahrscheinlich weder singen noch schreiben ohne ihn und nehme den Anlass seines Geburtstages als Vorwand hier hemmungslos Wader-Songs zu verlinken.

Und zum Schluss noch die historischste unter diesen historischen Aufnahmen: Herr Olm aus dem Jahr 1990. 1990!

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Michael und ich – das Sprachexpertenblog

Das Fußballexpertenblog ist irgendwie durch. Im Nachhinein weiß ich, dass es nicht anders kommen konnte. Es gibt ja nur drei Arten mit Fußball umzugehen: Man kann ihn spielen, gucken oder schimpfen. Spielen und gucken geht in einem Blog schon mal nicht. Und Schimpfen in schriftlicher Form ist ein absolutes Nogo/ no go /no-Go / noGO / no Go (in jedem Fall aber absolut). Manche labeln / etikettieren / beaufklebern niedergeschriebene Schimpfe zwar als Polemik, doch damit offenbaren sie nur ihre Ahnungslosigkeit. Denn Polemik hat Witz, Geschimpfe aber ist geistlos. Fußball kann intelligent gespielt werden, durchaus auch von Leuten, die in anderen Bereichen nicht durch intelligentes Verhalten auffallen. (Aber bitte keine unzulässigen Umkehrschlüsse jetzt! Danke.) Und Fußball kann intelligent geguckt werden. Wer Fußball intelligent spielt, guckt ihn auch meist intelligent: Er liest das Spiel, hat den Überblick, wie man sagt. Michael Ballack zum Beispiel ist in diesem Sinn ein intelligenter Fußballspieler. Könnte Marcel Reif Fußball spielen, wäre er vielleicht auch ein intelligenter Spieler. Wer weiß. Marcel Reif als Fußballkommentator aber ist ein Idiot. Doch das liegt in der Natur der Sache. Auch ich als Fußballkommentator bin ein Idiot (vielleicht ein nicht ganz so großer, vielleicht…). Darum beende ich mit einem gewissen Bedauern das Fußballexpertenblog, denn ich möchte mich nicht daran gewöhnen, ein Idiot zu sein. Es wäre ja peinlich, wenn ich in ein paar Jahren, mit 70, eine Art Franz Beckenbauer geworden wäre, mit dem Unterschied, mit 30 kein intelligenter Fußballspieler gewesen zu sein.

Zum Glück ist mir aber eingefallen, dass ich ja doch noch von etwas anderem etwas verstehe außer von Fußball, nämlich von Sprache. Die meisten haben Sprechen, Lesen und Schreiben gelernt. Ich auch. Aber darüber hinaus habe ich auch noch Sprache gelernt. Das macht mich zu etwas Seltenem, vielleicht auch zu etwas Seltsamen (doch hier ist Vorsicht geboten, sonst konstruiert man vorschnell einen falschen Ursache-Wirkung-Zusammenhang). Vor allem aber macht es mich zu jemandem, der sich locker selbst zum Experten machen könnte, wenn er wollte. Ich will. Ab jetzt finden hier nur noch Sprachkolumnen statt.

Das heißt, einen Fußballartikel muss ich noch machen. Anlässlich von Michael Ballacks ja nun wirklich unglücklichem Ende als Fußballnationalspieler möchte ich ein wenig über unsere Beziehung erzählen, denn er war eine wichtige Person in meinem Leben.

Kennengelernt habe ich Michael, da gehörte er noch zu den Guten. Da spielte er bei einem eher uninteressanten Verein namens Bayer Leverkusen, den ich zu diesem Zeitpunkt allerdings notgedrungen hochinteressant finden musste, weil er sich gerade anschickte vor dem FC Du weißt schon wer deutscher Meister zu werden. Dazu hätte Leverkusen nur noch ein letztes Spiel gewinnen müssen und zwar gegen einen nicht allzu starken Gegner. Leverkusen aber verlor das Spiel, und der Dunkle Verein gewann die Meisterschaft. Der junge Michael trug einen nicht unwesentlichen Teil zu der Niederlage bei: Er köpfte unbedrängt und unhaltbar ins eigene Tor.

Ich lernte Michael also in einer für uns beide sehr peinsamen Situation kennen. Mein erster Impuls wäre gewesen, ihn ein wenig mit mittelschweren Pflastersteinen zu bewerfen. Doch dazu hätte ich in seine Nähe reisen müssen, und das dann auch noch mit einem Rucksack voller Steine. Das hätte meinem Rücken geschadet. Außerdem verflog meine Wut recht schnell. Noch vor Beginn der nächsten Spielzeit erschien mir Michael als eher tragische Figur. Mit tragischen Figuren konnte ich mich immer am besten identifizieren, weil ich stets bemüht war, entgegen aller Evidenz, mich selbst als eine solche zu sehen.

Beim Sportgucken geht es ja ums Identifizieren. Mir ging es jedenfalls immer darum. Da machen diese Typen da etwas vor einem riesigen jubelnden Publikum und man selbst, der in der großen Pause Fußball spielt, träumt sich in den Avatar einer solchen Person hinein, wie sie im weltweiten Freudentaumel von Millionen einen hässlichen Pokal in den Abendhimmel reckt. Das Schräge daran ist, dass dieses ganze Publikum vermutlich auch nur jubelt, weil sie sich vorstellen, dass sie selbst das wären, dort unten auf dem Rasen. Das heißt, wenn man einen (oder elf) bejubelt, stellt man sich vor, man würde von Tausenden bejubelt, und vergisst dabei, dass die, vorausgesetzt sie ticken ähnlich, ja auch dann noch, wenn man selbst der Bejubelte wäre, nur sich selbst bejubeln würden, man wäre gar nicht wirklich gemeint. Im Endeffekt ist das natürlich alles eins, wir alle eins, Bier und Schweiß, Deutschland ist Weltmeister, Orgasmus.

In gewisser Weise lassen Fußballfantasien mit dem Alter ein wenig nach. Allerdings glaube ich kaum, dass nachlassender Narzissmus oder ein erfüllteres Leben der Grund dafür wären. Eher liegt es wohl daran, dass einem als Grundschüler eben noch alle Wege offen zu stehen scheinen. Wenn man erst mal in mein Alter gekommen ist, ist das nicht mehr ganz so. In manchen Bereichen merkt man das weniger, aber an der nachlassenden Qualität der Fußballtagträumereien kann man recht gut an sich selbst fühlen, dass es Türen gibt, die sich bereits für immer vor einem verschlossen haben. Mit der Profifußballerkarriere jedenfalls wird das nichts mehr. Und man fragt sich, wie viele der verdammten Türen nur und einzig und allein für einen selbst dagewesen sein mögen. Mit den Figuren in Kafkas Erzählungen mochte ich mich übrigens nie identifizieren. Mit Michael immer wieder.

In der Saison nach seinem missratenen Einstand kam Michael mit Leverkusen ins Finale der europäischen Champions League. Leverkusen. Europa. Ich stelle die beiden Worte hier einmal unkommentiert nebeneinander. Das war natürlich sensationell und natürlich verlor Leverkusen das Finale. Eher sang- und klanglos, und Michael war das ganze Spiel lang abgemeldet. In der Nationalmannschaft spielte er inzwischen auch, er trug die Trikotnummer 13 und machte der Unglückszahl auf seinem Rücken alle Ehre. Michael war der beste deutsche Fußballer, und er spielte im Mittelfeld. In der guten alten Zeit hätte er die 10 getragen, die Nummer, die im Fußball traditionell den Leitwolf kennzeichnet. Doch Michael wollte anscheinend kein Leitwolf sein. Stattdessen kokettierte er mit der Tatsache, dass er seinen Vereinen in den wichtigen Spielen bislang nicht unbedingt Glück gebracht hatte. Das blieb auch so. Michael schaffte das Triple: Zweiter in der Bundesliga, Zweiter in der Champions League, und kurz darauf tatsächlich auch Zweiter mit der Nationalmannschaft bei der WM 2002. Im letzten Fall musste er sich die Finalniederlage seiner Mannschaft hilflos von der Bank aus ansehen, weil er nach einer Gelben Karte im Halbfinale für das Finale gesperrt war. Michaels Fußballerkarriere hatte noch gar nicht richtig angefangen, und er sah schon aus, wie ein ewiger Verlierer. Doch statt zur Spottfigur machte ihn das nationale Publikum zum tragischen Helden. Ich auch.

War das jetzt nationale Bescheidenheit oder dieses Denken, als Zweiter ja eigentlich der moralische Sieger zu sein, gegen den sich dummerweise alle Schicksalsmächte verschworen hätten? Ich gehe von mir selbst aus und behaupte: echte Bescheidenheit, die gibt es doch gar nicht. Jedenfalls blieb uns allen auch gar nicht viel übrig, als Michael weiter zu vergöttern, denn es gab ja keinen anderen, der ähnlich gut gewesen wäre.

Doch dafür, dass sie einen vergöttert, will die Öffentlichkeit auch etwas zurückhaben. Sie hält es für ihr gutes Recht, von ihrem Idol bestimmte Dinge einfordern zu können. In diesem Fall wollte sie von Michael: Kämpfernatur und Siegermentalität und natürlich Führungsstärke, denn wenn du der Beste bist, dann musst du auch führen. (Im Sport soll das nach diesem einfachen Prinzip funktionieren, weil es im Restleben eben gerade nie so funktioniert: die „Besten“ sind ja meistens Spezialisten und die Führer sind Organisatoren und/oder Darsteller, die eigentlich nichts so richtig können.)

Letztendlich tat Michael immer, was man ihm sagte. Und obwohl es ihm spürbar nicht entsprach, wurde er zum Führungsspielerdarsteller. Für mich war er jetzt nicht mehr der Gute, doch ich konnte nicht anders, als ihn weiter zu bewundern. Er ging zum Dunklen Verein – das deutsche Publikum wollte sehen, wie er ihn wieder an die europäische Spitze führte – und gewann dort keinen einzigen internationalen Titel. Dann ging er zu einem Spitzenclub der englischen Liga – das deutsche Publikum wollte hören, dass ein deutscher Fußballer auch im Ausland gefragt ist, auch in der, wie es hieß, „härtesten Liga der Welt“ – und gewann dort keinen einzigen internationalen Titel. Auf den Tabellen, die die Fußballfans doch sonst so gerne mit großen Augen bestaunen, blieb Michael, zumindest gemessen an seinen Möglichkeiten, der Verlierer, der er schon immer gewesen war. Doch in seinem besonderen Fall sah man nicht so genau hin. Michael schnitt sich für England seine Jünglingsfrisur wieder ab und verpasste sich einen männlichen Kampfhaarschnitt. Er, der, wenn er wollte, Fußball fast wie körperlos interpretieren konnte, spielte sich nun als das Alpha-Tier auf dem Platz auf, drängelte und schubste, pöbelte und schrie, lernte einen Blick, als sei er Oliver Kahn persönlich, und verteilte auch schon mal Ohrfeigen an lästige jüngere Spieler. Gebracht hat es ganz genau gar nichts. Im Finale der EM 2008 durfte Michael anders als bei der WM 2002 mitspielen. Doch Deutschland verlor klar und deutlich, und Michael war das Spiel über abgemeldet. Danach war er der einzige, der so gar keine Lust hatte, den zweiten Platz zu feiern.

In meinen schwachen Momenten, in denen ich mich, obwohl inzwischen viel zu alt dafür, doch wieder wie ein Grundschüler mit meinem Lieblingsspieler identifizieren wollte, versuchte ich seine Metamorphose an mir nachzuträumen. Ich blieb immer wieder nur an der Unwilligkeit hängen, mit der Michael sie, wie es mir zumindest schien, an sich selbst vollzogen hatte. Anders als Michael hatte ich keine Erwartungen eines Millionenpublikums zu erfüllen. Vielleicht wäre ich an ihnen zerbrochen, und doch: ich beneidete ihn darum. Viel Sinn ergab das nicht. Ich wusste nicht, was ich wollte, und ich sah einen Star, von dem ich wusste, dass er es auch nicht wusste, obwohl der Rest des Publikums das nicht zu bemerken schien.

Am Ende hat sein mühsam antrainiertes Aggressive-Leader-Verhalten Michael dann doch etwas gebracht, wenn auch nicht im positiven Sinn. Die letzte Ohrfeige, die er austeilte, traf einen prolligen Deutsch-Ghanaer aus dem Wedding. Der rächte sich, indem er Michael bei nächster Gelegenheit mit Vollgas auf die Füße stieg. Die Verletzung war so schwer, dass Michael die WM absagen musste, die seine letzte Chance gewesen wäre, doch noch mal einen internationalen Titel zu gewinnen. Er hätte ihn ohnehin nicht gewonnen.

Die Wege von Michael und mir trennen sich hier, und ich denke, das ist auch gut so. Ich wünsche ihm für seinen weiteren Lebensweg alles Gute. Adieu Michael, du warst der mit Abstand beste deutsche Fußballer deiner Generation. Und was immer auch aus uns wird, solange wir es schaffen, nicht bei Lebzeiten zu mumifizieren, solange wir niemals wie Franz Beckenbauer werden, solange ist wahrscheinlich alles in Ordnung.

Ich werde also nicht mehr über Fußball bloggen. Denn ich finde, dass ich alles gesagt habe zum Thema. Nun also das angekündigte Sprachexpertenblog:

Ach nöö, ist zu heiß…

Willst du Sprachexperte, guckst du hier.