Gestern war ich Gast im Kontroversum-Podcast. Das ist ein neuer Podcast, in dem regelmäßig über Filme diskutiert wird. Wir haben uns über die Filme Spring Breakers, The Broken Circle Breakdown, Hai-Alarm am Müggelsee, Paradies: Glaube, Stoker, G.I. Joe 2 und Side Effects unterhalten. Was meine Performance angeht, sehe ich noch Luft nach oben, aber Spaß gemacht hat es auf jeden Fall. Hört doch mal rein: Klick
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Dosenthunfisch mit Fladenbrot
Ich habe die Berlinale 2012 hinter mich gebracht und eine historisch-mathematisch-biografische Einordnung tut not: Die Berlinale gibt es seit 62 Jahren. Mich gibt es seit 32 Jahren. Die Berlinale ist also 30 Jahre älter als ich. Vor 2 Jahren war sie genau doppelt so alt wie ich, das ist sie jetzt nicht mehr. In 28 Jahren wird sie nur noch um ein Drittel älter sein als ich. Obwohl sich der reale Abstand in Jahren zwischen uns natürlich niemals ändern wird, ist – wenn wir beide alt genug werden sollten – eine Zukunft denkbar, aus deren Perspektive betrachtet, der Abstand verschwindend gering geworden sein wird. Ich besuche die Berlinale, seit ich 9 bin, also seit 23 Jahren. Damals war die Berlinale 39, also mehr als viermal so alt wie ich, der Abstand zwischen uns schien groß. Das Premierenkino war der Zoo Palast, der Potsdamer Platz war Todesstreifen und meine ersten Berlinale-Kinderfilme sah ich in den Eva Lichtspielen in Wilmersdorf. Sie hießen: Vogelkönig, Zug in den Himmel und Goldregen und beeindruckten mich sehr.
Zug in den Himmel spielte in Peru (oder war es Chile?), ein Straßenjunge (oder war es ein Waisenkind?, oder beides?) fuhr als blinder Passagier in einem Zug bis zur Endstation, die sehr weit oben in einem hohen Gebirge (den Aden?) lag. Er hatte sich irgendwie im Freien zwischen den Waggons, dort, wo sie aneinandergekuppelt waren, versteckt. Ich fragte den Regisseur, ob der Junge (ich meinte den Darsteller), diese Fahrt auch in Wirklichkeit so gemacht habe. Heute würde ich anders fragen. Hauptsächlich deshalb, weil ich den Film auch anders erleben würde. Heute würde ich mehr Dinge in ihm sehen, von denen ich glauben würde, sie zu verstehen, und ich würde mich sicherlich nicht mehr so konzentriert und ohne mich ablenken zu lassen mit dem Jungen aus dem Film identifizieren. Schon während ich den Film sehen würde, würde ich ihn in einer Menge in unterschiedlichen Aspekten ähnlicher Filme, die ich gesehen und im Gedächtnis behalten habe, einordnen und im Vergleich zu ihnen bewerten.
Ich bin nicht dumm genug, zu leugnen, dass ich heute in jeder Hinsicht viel mehr mit einem Film anfangen kann, als mir das mit 9 Jahren möglich war. Doch es bleibt die Sehnsucht nach dem naiven Erleben. Sie ist jedesmal wieder da, wenn die Lichter im Saal ausgehen und der Vorspann beginnt. Und jedesmal wieder bleibt nach dem Abspann auch sehr guter Filme dieser Rest Enttäuschung, obwohl ich mich extra weit nach vorne gesetzt habe, den Blick von außen auf die flache Leinwand nie verloren zu haben und eben nicht für die Dauer des Filmes Teil einer fremden Welt geworden zu sein. Mit hektisch halbgarem Kritikergerede sofort beim Verlassen des Kinos lässt sich dieser Enttäuschungsrest nur unzureichend übertünchen.
Ganz selten gibt es Filme, in denen es für Augenblicke doch passiert, dass ich mich vorbehaltlos und unbewusst zum Gefangenen ihrer Bilder mache. Einfach über die Identifikation mit der Hauptfigur geht das nicht mehr, aber irgendwie kann es dennoch geschehen. Eigentlich sind das die Filme, für die ich ins Kino gehe. Auch wenn ich mir oft – und auch mit Vergnügen – Filme ansehe, von denen ich von vornherein weiß, dass sie es nicht sein werden.
Zur Berlinale ins Kino gehen, heißt auch, sich in langen Schlangen anstellen und warten. Das stört nicht, denn es macht die Filme wertvoller. Die Filme auf der Berlinale eröffnen ihrem Publikum fremde Welten. Das Publikum, das sie besucht, wendet sich auf seine Weise diesen Welten zu, es ist weltoffen. Der Mann hinter mir in der Schlange gibt in gemütlich schwäbischem Singsang an seine beiden Begleiterinnen Reisewarnungen für das nördliche Afrika aus. Anlass dafür scheint eine Tochter zu sein, die ein bisschen die Welt kennenlernen möchte. Am ehesten gehe wohl noch Tunesien, Marokko sei zu gefährlich, Ägypten im Moment natürlich sowieso, aber auch sonst. Vom restlichen Afrika – im Grunde einem einzigen Kriegsgebiet – ganz zu schweigen. Wenn man in einer Reisegruppe mit einheimischen Führern unterwegs sei, dann ginge Marokko natürlich. Man dürfe eben unter keinen Umständen den Schutz dieser Gruppe verlassen. Besonders als Frau nicht. Eine Frau, alleine unterwegs, sei in diesen Ländern leider immer noch Freiwild. Reisenden jungen Frauen rät er – außer von Afrika – auch dringend von Mittel- und Südamerika ab. Australien und Neuseeland seien gute Alternativen, auch in Asien gebe es noch ein paar Länder, die infrage kämen. Der Mann spricht mit der Autorität des gefragten Experten. Ich höre heraus, dass er einmal Urlaub in Marokko gemacht hat. Neben den Menschen könne dort leider auch das Essen sehr gefährlich werden. Gerade in den touristisch erschlosseneren Gebiete sehe man ihm seinen verdorbenen Charakter von außen tückischerweise oft nicht sofort an. Er und seine Frau hätten dieses Problem bei ihrem Marokkourlaub gelöst, indem sie sich ausschließlich von Dosenthunfisch mit Fladenbrot ernährt hätten. Das sei einigermaßen sicher.