Die Geschichte meiner Träume — Nacht 1

Raushau-Blog-Leserservice: Der folgende Text enthält 7653 Zeichen (inkl. Leerzeichen) und ist „Ich schreibe wie“-zertifiziert mit dem Gütesiegel:

Ich schreibe wie
Joanne K. Rowling

Das Forschungsprojekt von AnwaltMap – anwälte. Ich schreibe wie…

Am Ende des Textes befindet sich wie immer ein feiner Youtube-Link als Belohnung für den Leser/die Leserin, der/die bis zum Schluss durchgehalten hat. Ausnahmsweise ist es auch erlaubt, in eigener Verantwortung nur den Youtube-Link zu konsumieren und meinen Text wegzulassen. In der Mitte des Textes befindet sich ein Berlin-Foto (oder ist es schon Brandenburg?) (Copyright bei mir), das in keinem näheren Zusammenhang zum Text steht, sondern nur meine Heimatverbundenheit demonstrieren soll. Dem Text vorangestellt ist eine einleitende Audiodatei, deren Zurkenntnisnahme für das richtige Verständnis des Textes essenziell ist.

Es geht um meine Existenz, nicht um mein Leben, denn ich habe keins. Ich bin ein Vampir. Ein Vampir, der sich im Gebirge verirrt hat. Die Lage ist trotzdem nicht ernst. Sie kann es nicht sein, denn Tim und Struppi sind ja dabei. Wo genau sie sind und was sie tun, weiß ich zwar nicht, doch es ist gut, sie ganz allgemein dabei zu wissen. Ich habe deutlich das Gefühl, dass meine irrende Suche letztlich nur ein Spiel ist, ein Kinderspiel, und nichts wird verloren sein, wenn ich verliere. Ich bin ein unsterbliches Kind und spiele: „so tun, als ob ich tot bin“. Ich bin er: ein kleiner Vampir, als Kind gebissen und für immer Kind. Und er spielt: „so tun, als ob er lebendig wäre“.

Mitten im Gebirge steht der Papiercontainer auf einer Almwiese am Fuß eines gewaltigen Geröllhanges. Es ist Sommer, es muss Sommer sein, wir kennen solche Almwiesen nur bei Sommer. Wir sind diese moderne Sorte Vampir, die die Sonne nicht mehr zu fürchten braucht. Im Übrigen ist auch davon auszugehen, dass in unserem Rucksack an technischem Gerät mindestens ein Handy und ein Notebook verstaut sind. Doch wir sind uns ganz sicher, dass sie uns bei unserer Suche nicht helfen würden, wir haben sie nur aus Gewohnheit eingepackt, fast ohne es zu bemerken. Wir würden uns Kühe herwünschen, aber es steht nur der Papiercontainer dort. Vor dem Container stehen wir, außer uns ist niemand hier. Der Schrei einer Alpendohle hallt von einer Felswand wider: tschrri. Selbstverständlich muss es Ruf heißen und nicht Schrei. Es bleibt ihr Ruf, auch wenn er in unseren Ohren zum Schrei wird.

Der Papiercontainer ist alt, von der Art, wie wir ihn schon ein Viertel Menschenleben lang nicht mehr gesehen haben. Die Beschriftung und der hellblaue Lack sind an vielen Stellen abgeblättert. Jemand muss ihn einmal angezündet haben, wir sehen Brandspuren. Der Papiercontainer quillt fast über mit Vampiren. Arme und Hände ragen aus seinen Öffnungen hinaus und winken und zappeln ein bisschen, sodass man meinen könnte, er wäre ein lebendiges Wesen.

Das Winken richtet sich an uns, doch bleibt unklar, was damit gemeint ist. Werden wir herbeigewunken, in den Container zu kommen wie alle anderen Vampire auch, oder soll das Wedeln der Arme und Hände im Gegenteil Abwehr signalisieren, weil der Container schon so voll ist?

Tief in unserem Inneren wissen wir, dass wir dort rein müssen. Doch scheint völlig unmöglich, dass es zwischen den Armen, die aus den Containeröffnungen ragen, ein Hindurchkommen geben könnte. Außerdem wollen wir dort nicht rein. Zwar stehen wir jetzt schon einmal davor und es wäre also der logische nächste Schritt, doch machen uns die vielen Hände und die Uneindeutigkeit ihrer Gesten Angst. Vielleicht sind wir unerwünscht, vielleicht ist es auch eine Falle, vielleicht würden sie uns erwürgen, ersticken oder zerreißen. Und wenn sie uns nur sanft berühren würden – war das unser Ziel in einem engen alten Papiercontainer von tausend und mehr blutleeren Händen befingert zu werden? Wir wollten doch auf den Gipfel. Auch wenn wir uns an den genauen Anlass unserer Suche nicht erinnern können, dass das Ziel der Gipfel und nicht ein Papiercontainer war, stand immer außerfrage.

Wobei – genau genommen war der Papiercontainer das Ziel. Aber wir waren davon ausgegangen, dass er auf dem Gipfel stehen würde, Fenster und eine Terrasse hätte und dass es ein Container für uns alleine wäre. Und eigentlich ging es nie um den Container, sondern immer nur um den Gipfel, den mit einem Gipfelkreuz eindeutig als die höchste Spitze dieses Berges gekennzeichneten Gipfel. Nur dort wollten wir hin. Wir waren dort verabredet, mit unserem Freund Björn He., auch er ein Vampir. Doch dann wollte Björn He. nicht mehr. Verstanden haben wir das nicht. Doch wir forderten keine Erklärung, wir hätten auch kein Recht dazu gehabt. Kein Vampir rechtfertigt sich jemals für sein Verhalten und niemals verlangt ein Vampir von einem anderen eine Rechtfertigung.

Vielleicht hing es aber damit zusammen, dass Björn He. viel mehr über den Container wusste als wir. Er wusste zum Beispiel auch, dass der Container voll sein würde, und er hat uns erklärt, wie wir trotzdem hineingelangen könnten. Wir können uns leider nur noch bruchstückhaft daran erinnern. Die Kernaussage lautete: Allein schafft es niemand. Doch der Rest war kompliziert. Man musste wohl zunächst einen Menschen hypnotisieren und dann beißen, danach konnte man zuerst allein in den Container, war dann aber dazu gezwungen, den Gebissenen ebenfalls irgendwie zu sich in den Container zu holen.

Nur wer, fragen wir uns, soll diesen Gebissenen spielen, wenn es offensichtlich im gesamten Gebirge, durch das wir nun schon werweißwie lange herumirren, keinen einzigen Menschen gibt. Ganz abgesehen von der Container-Problematik haben wir ohnehin schon einen wahnsinnigen Durst. Und dennoch zeigt das Wort „spielen“ in dieser leise zu uns selbst gestellten Frage, dass wir die Situation weiterhin nicht ernst nehmen. Im Grunde glauben wir nicht an die Wirklichkeit unserer Existenz, im Grunde glauben wir nicht an Vampire. Wir würden nicht so weit gehen, zu behaupten, dass wir nur geträumt seien, doch dass wir nur eine Figur in einem Film darstellen, das halten wir für wahrscheinlich.

Martin Thoma

Unser Freund Arian B. fällt uns ein. Auch er ein Vampir, auch er wahrscheinlich nur eine Figur, auch er auf der Suche nach dem Papiercontainer mit uns losgezogen. Auch ihn haben wir verloren.

Die fremden Vampirhände haben sich in den Papiercontainer zurückgezogen. Wenn man nicht so genau hinsieht, könnte man ihn jetzt für einen ganz gewöhnlichen alten Papiercontainer halten. Doch plötzlich gibt er ein dupfes Dröhnen von sich, kurz darauf gefolgt von einem weiteren. Es hallt wie Donnergrummeln von den Felswänden wider. Jemand schlägt mit einer Faust von innen gegen die Containerwand. Weitere Schläge folgen, weitere Fäuste schließen sich an, in kurzer Zeit sind es die Fäuste sämtlicher Vampire, die gegen die Containerwand hämmern. Ohne jeden Rhythmus, dicht hintereinander, fast wie das Prasseln eines Feuers, nur dumpfer und lauter, viel lauter. Sie schlagen mit übermenschlichen Vampirkräften gegen das Metall und es beult sich nach allen Seiten hin aus. Zweifellos wird es in wenigen Augenblicken zerreißen wie eine dünne Membran.

Ein mehrere Meter breites Stück löst sich aus der Felswand über uns und rutscht über die Geröllhalde direkt auf uns zu. Mit unseren Vampirkräften treten wir dagegen und es zersplittert in tausend Stücke. Zur gleichen Zeit lösen sich über uns drei neue Brocken. Den ersten zertreten wir wieder, doch die nächsten versuchen wir aufzufangen und, so gut es auf die Schnelle eben geht, ordentlich auf der Almwiese übereinander zu stapeln. Denn es kommen schon wieder neue Felsbrocken und es werden immer mehr und größere und wir wissen, wenn wir sie alle zertreten würden, entstünde dabei so viel Geröll, dass wir darunter begraben werden würden. Der ganze Berg bricht über uns zusammen, vielleicht sogar mehr als nur der Berg. Es kommt uns vor, wie ein gewaltiger Meteoritenhagel. Und wir fangen und sortieren die Teile.

Dann hören wir eine Stimme aus dem Container, die von uns in der dritten Person Singular spricht. Einen Augenblick lang denken wir, das seien wir selbst, dann, es sei Arian, dann kommt sie uns vor wie die Stimme von Björn. Inzwischen glauben wir, dass es bloß eine Tonaufnahme ist, die jemand gemacht hat, lange bevor es uns gab. Die Stimme sagt (und Gott weiß mit wem sie spricht): „Martin Thoma spielt gegen den Computer Space Invaders, was aber in Wahrheit aussieht, wie Tetris.“

Was für ein dämlicher Kommentar, denken wir, und stemmen uns weiter gegen die herabstürzenden Felsbrocken.

Franz Josef Degenhardt (1931-2011)

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Der Wechselblag

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Ich schreibe wie

Das Forschungsprojekt von AnwaltMap – anwälte. Ich schreibe wie…

Am Ende des Textes befindet sich als Belohnung für die Mühen des geneigten Lesers zur Entspannung ein Überraschungs-Youtube-Clip.

Der Text als Premium-Hörbuch:

Der Text als Text:

In einem kleinen Ort im Straucheln (bei Dürsen) lebten ein Mühler (damals sagte man noch richtig Mühler von Mühle und nicht Müller wie heute) und seine Frau. Die hatten drei Söhne (und eventuell eine irrelevante Anzahl unmaßgeblicher Töchter). Zwei der Söhne waren haargenau so, wie man sich das von guten Söhnen nur wünschen konnte. Der älteste Sohn aber war boshaft wie eine böse Stiefschwiegermutter (aus Bayern), garstig wie ein pubertäres Warzenschweinferkel (mit Pickeln), falsch wie eine Schlange (Blindschleiche) und häßlich wie die Nacht bei Neonlicht von einigen 1000 Grad Kelvin.

Da es, wie gesagt, der älteste Sohn war, waren nach ihm noch zwei Söhne nachgekommen, die so wunschgemäß gut ausgefallen waren, daß es nur so eine Art hatte. Man konnte demnach ohne Übertreibung behaupten, daß der Mühler und seine Frau, so gesehen, noch einmal Glück im Unglück gehabt hatten. Dennoch wurde ihnen das Leben mit ihrem ältesten Sohn mehr und mehr zu einer Last, denn er wurde mit jedem Tag, den er älter wurde, nur immer garstiger und noch mehr garstiger. Es war ganz offenkundig, daß es sich bei ihm um ein sog. Wechselblag handelte, d.h. die Unterirdischen waren in der Nacht nach der Geburt des ersten Sohnes in das Kämmerlein mit der Wiege geschlichen, hatten den wirklichen Sohn zu sich in die Unterirde entführt und stattdessen einen der ihren für ihn hineingelegt, auf daß er dem armen Mühler und seiner Frau und auch allen anderen Menschen, mit denen sie verkehrten, möglichst vieles an großem Ungemach bereiten möge. Auch die beiden anderen Söhne (und wahrscheinlich auch einige der ansonsten irrelevanten Töchter) machten ihre Eltern immer wieder darauf aufmerksam, doch diese wollten nicht hören. Immerhin war es ihr Erstgeborener! Und die Mutter hätte außerdem ein viel zu gutes Herz gehabt, als daß sie es über dasselbe gebracht hätte, den Wechselblag zusammen mit einigen Wackersteinen in einen Sack zu tun und im Fluß zu versenken, wie es ihr ihre beiden anderen Söhne immer wieder vorschlugen (und auch eine nicht unbeträchtliche Anzahl der darüberhinaus aber irrelevanten Töchter).

Lange konnte das nicht mehr gut gehen, denn inzwischen war der garstige Lump seinen Eltern über den Kopf gewachsen und nutzte das auch schamlos aus, indem er ihnen, kaum war er einen Kopf größer als sie, zum Frühstück, Mittagessen und zum Abendbrot ihre Haare direkt vom Kopf weg äste. Im Falle seines Vaters war das nicht weiter der Rede wert, denn sein Haarwuchs konnte schon vorher traditionell nur als spärlich bezeichnet werden. Doch mitanzusehen, wie er die wunderschönen goldenen Locken seiner gutherzigen Mutter auf eine Gabel wickelte und ungewaschen in sein dreckiges Maul stopfte, das war zum Steinerweichen. So beschlossen denn die beiden jüngeren Brüder des Scheusals (auf Drängen ihrer irrelevanten großen Schwester Gudula), dem schaurigen Schauspiel endlich ein Ende zu machen und das Wechselblag bei nächster Gelegenheit an Army Scouts zu verkaufen.

Die Gelegenheit bot sich ihnen schon am nächsten Tage, denn es standen immer einige Army Scouts vor der Schule, in die die Geschwister noch immer gingen (der älteste Bruder war dort schon sieben Mal sitzen geblieben). Aber Pustekuchen! Die Army Scouts nahmen aus Jugendschutzgründen Minderjährige nur dann ab, wenn eine Unterschrift eines Erziehungsberechtigten vorlag und die hatten sie natürlich nicht. Doch glücklicherweise konnte Gudula (die in dieser Geschichte weiter keine Rolle spielt) sehr gut Unterschriften fälschen und erledigte das für sie in der kleinen Pause. So kam es, daß sie den Wechselblag noch in der nächsten großen Pause verkauften.

Die Army zahlte stattliche Preise für neue Soldaten und so kamen die zwei Söhne in den Besitz von drei ganzen Goldtalern. Da sie aber nur zwei Söhne waren, wußten sie zunächst nicht, wie sie das ganze Gold untereinander aufteilen sollten, doch als gute Söhne beschlossen sie schließlich, von dem einen übrigen Goldtaler ihren Eltern etwas Schönes zu kaufen. Für einen ganzen Goldtaler konnte man eine ganze Menge bekommen. Zum Beispiel einen Tablett-PC, einen Esel für die Mühle, einen Kleinwagen mit Hybridantrieb, zwei Wahlgutscheine für das Bezirksparlament oder eine Eintrittskarte für Günther Jauch. Schließlich entschieden sie sich aber für ein kleines Maschinengewehr, weil in dem Wald, wo die Mühle stand, sich auch viele zwielichtige Gestalten herumtrieben und die ganze Mühlersfamilie in ständiger Angst vor Überfällen lebte.

Ihre Eltern freuten sich über die Maßen darüber, und was das verkaufte Wechselblag anging, so fügten sie sich sehr schnell darein, daß es für alle das Beste war, wenn er bei der Army das Kriegshandwerk lernen und nach einigen erfolgreichen weltweiten Operationen zuguterletzt sein Ende im Friendly Fire finden würde. Und so lebte die Mühlersfamilie glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Nur die Unterirdischen ärgerten sich sehr über diesen Fehlschlag.